Svend Nielsen: Sommerfugledalen

Svend Nielsen: Sommerfugledalen
Gabriele Pilhofer, Klassik.com
Tirsdag, 18. maj Klassik.com

Per Flügelschlag ins Totenreich

Es schleimt und filzt im ,Schmetterlingstal'. Man murmelt, flüstert und schreit dort. Vergeblich wird man dieses verwunschene Tal auf irgendeiner Landkarte suchen. Zu entdecken aber ist es in Dänemarks Neuer Musikszene, in der Region der A cappella‑Chormusik. Man folge den Requiem-Schildern und frage nach dem 1937 geborenen Komponisten Svend Nielsen aus Århus, dessen Gedichtvertonung für 12 Solosänger von dem dänischen Vokalensemble ,Ars Nova Copenhagen' unter der Leitung von Tamás Vetö eingesungen und bei dem Label ,Dacapo' veröffentlicht worden ist. Aber Vorsicht: Der Tod wohnt nebenan.

Stimmungsbilder

Das ,Sommerfugledalen' - so der Originaltitel - ist ein Sinnbild für Ruhe und Frieden, daher der Untertitel ,Et Requiem'. Doch in der poetischen, lyrischen Schale steckt auch viel Zerrissenheit, Spannung und Schmerz. Es handelt sich um den Zyklus aus insgesamt 15 Sonetten der dänischen Schriftstellerin Inger Christensen (* 1934), in dem knapp 30 Schmetterlingsarten als farbenreiche Bild- und Symbolträger für Lebendigkeit, Vergänglichkeit und Tod auftreten. Nielsen versucht den Inhalt jeweils in Stimmungsbilder umzuwandeln, was ihm mal mehr, mal weniger gelingt. Ganz besonders gut z.B. im 3. Sonett, bei dem man sich auch ohne deutsche Übersetzung in den tiefsten Tiefen des Totenreichs wähnt, aus dem schwefelige Nebelschwaden hochziehen und Thanatos höchstpersönlich zum Ableben auffordert. Der Tonumfang der einzelnen Phrasen dürfte gefühlt nicht mehr als eine kleine Terz betragen, innerhalb welcher sich die Stimmen höchstens in Halbtonschritten miteinander verstricken. Eine Lehrstunde des dissonanten Gruselns.

Ganz oder gar nicht

Nielsen übertreibt kein bisschen, wenn er hier von ,50 Minuten Introvertiertheit' spricht und sein Werk als ,eine große Herausforderung für den Zuhörer' bezeichnet. Auch in den übrigen Teilen bewegt sich das Musikmaterial in einem ausgesprochen engen Tonraum, der nur einen spärlichen Platz für Melodien, Puls und Rhythmus oder Dynamik vorsieht. Es reibt sich dafür umso mehr in großflächigen Dissonanzen, imitatorischen Verschiebungen quer durch die Stimmen, Glissandi in alle Himmelsrichtungen, äußert sich mitunter in Flüstern, Klatschen, Rezitieren, empörtem Schreien. Durchaus auch eine Herausforderung für die Interpreten. Vollkommen vibratolos, gläsern, intonatorisch absolut naturrein und zum Sterben schön wandeln die zwölf Sängerinnen und Sänger durch dieses Tal - und nehmen ihr Publikum mit, so weit dieses es zulässt. Denn so bedeutungs- und gehaltvoll die Lyrik ist und nach geistiger Durchdringung verlangt, so sehr sind die Sonette sinnlich und emotional angelegt. Das bedeutet, nur wer sich 100-prozentig auf diese ,schwere' Stimmung einlässt, wird ohne Ermüdungserscheinungen zu vollem Genuss kommen. Wie oft bei Neuer Musik wird aber vermutlich auch dieses Werk sein Publikum nur in einer Konzertsituation gefangen nehmen.

Bonbons

Eine angenehme Überraschung auf Track 16: Die Autorin persönlich liest den gesamten Zyklus im Original. Für Nichtkundige des Dänischen ist dies eine schöne Gelegenheit, sich 14 Minuten lang in diese Sprache und Lyrik hineinzuhören. Und den Dänen bestimmt eine besondere Ehre, die Stimme der mehrfachen Nobelpreis-Kandidatin und Trägerin des Siegfried-Unseld-Preises auf dieser CD zu hören. Und für Zoologie-Interessierte: In der Mitte des Beihefts sind auf farbigem Hochglanzpapier 29 Schmetterlingsarten abgebildet und dreisprachig aufgelistet. Diese Details laden zur inhaltlichen Durchdringung von Text und Musik ein, ums Blättern, Lesen und Analysieren kommt man dann natürlich nicht herum.