Edel
First DropDr. Matthias Lange, www.klassisk.com
Onsdag, 9. august Link to original article
Ein großartiges Porträt der Arbeit Paul Hilliers mit Ars Nova Copenhagen über ein Jahrzehnt hinweg. Eine solche Platte nach persönlichen Bekanntschaften zusammenzustellen, kann als extravagant gelten, wirkt bei Hillier aber durchaus sympathisch.
Wo immer Paul Hillier in den vergangenen Jahrzehnten seine chormusikalischen Spuren hinterlassen hat – in Großbritannien, den USA, Estland, Dänemark oder seit einigen Jahren in Irland –, überall hat seine Arbeit reiche Frucht getragen, hat er sein Gespür für den vokalen Zusammenklang subtil in sehr verschiedene Traditionen eingebracht. Auf der aktuell vorliegenden Platte sind Chorsätze versammelt, die er zwischen 2006 und 2015 mit Ars Nova Copenhagen eingesungen hat. Der klingende Ertrag eines Jahrzehnts - eher ein ‚Best of‘ aus der Reihe der mit Hillier persönlich bekannten Komponisten denn ein strategisch durchgearbeitetes Programm. Doch gewinnt die Reihe prominenter Namen durch die schiere Qualität der Werke auch programmatisch an Profil.
Zu hören ist zunächst die fein gearbeitete lyrische Postmoderne von Howard Skempton, kontrastiert durch den konstruktivistischen Umgang mit chorischem Können, wie es zum Beispiel Michael Gordon in seinem Satz 'He saw a skull' mit dem glissandierenden Vexierspiel der Tongeschlechter vorführt. Auch David Lang erprobt das Mögliche in 'When we were children', wenn auch konzentrierter in der Wahl der Mittel. Der Südafrikaner Kevin Volans kommt mit dem 'Walking Song' für solistische Orgel zu Wort, von Christopher Bowers-Broadbent, dem souveränen Kenner vieler moderner und postmoderner Stile, gekonnt präsentiert – auch in der Aufnahme der rhythmischen Bewegung und gestischen Behändigkeit dieser eingeschobenen Instrumentalinsel. Dann sind fünf knappe Motetten des aus der argentinischen Tangotradition stammenden Pablo Ortiz zu hören, die sich hochexpressiv und in größter formaler Konzentration entfalten. Der 1939 geborene Niederländer Louis Andriessen gibt sich untypisch lyrisch, anders als sein ‚wunderbar aggressiver Euro-Minimalismus‘ (Hillier) es vermuten ließe. Gabriel Jackson schafft in seinem 'L’homme armé' eine hochinteressante poetische Begegnung der Renaissance-Welt mit den Schrecken des modernen Krieges, rhapsodisch frei sich entfaltend, in solistischer Deutung hochindividuell und anrührend. Dann Steve Reich, dessen 'Clapping Music' und 'Know what is above you' extrovertiert und konzentriert zugleich wirken, klar im Bau, das von Paul Hillier besorgte Arrangement der 'Clapping Music' auch ein wenig kurios in all den geschichteten, textlosen Wiederholungen. Zuletzt mit Terry Riley ein weiterer prominenter Exponent der Minimal Music, dessen komplexer 'Mexico City Blues' zuweilen ausgreifend klangsinnlich ist, mit vertrackter Bewegung kontrastiert – ein hochattraktives Stück, das einem potenten Ensemble alle Möglichkeiten zur Entfaltung bietet.
Absolut hochkarätig
Paul Hillier hat jedes seiner Ensembles, jeden seiner schon vor der Hillier-Zeit hochleistungsfähigen Kammerchöre zu einem fabelhaft ausgeglichenen Leistungsvermögen weitergeformt. Das ist auch hier in allen maßgeblichen Parametern zu erleben, als Nachweis der formidablen Arbeit Hilliers. Der Ensembleklang wirkt nordisch klar, ohne Schlacken, eher sehnig als üppig, kontrolliert und geordnet. Und doch berücken auch in dieser Ensemblekultur ein makelloses Legato, ein wunderbar dichter Klang zum Beispiel bei Skempton, dessen Musik nach genau diesen Qualitäten verlangt. Zugleich zeigen sich die in der Regel zwölf Vokalisten – die Besetzungen haben sich über die Jahre personell etwas gewandelt, ohne dass der Klang sich verändert hätte – großartig organisiert, auch in vielfacher Teilung und erratischen Verläufen und Schichtungen. Noch eine typische Qualität: Paul Hilliers Ensembles sind stets auch echte Solistenvereinigungen – Soli lösen sich als denkbar selbstverständliche Fortsetzung aus dem Chorklang. Intoniert wird herausragend sicher und mühelos, selbst das glissandierende Chaos bei Gordon wirkt fast beiläufig bewältigt. Artikulatorisch sind großflächige Lyrik und edel sublimierte Rhythmik gleichermaßen auffallende Pluspunkte.
Das Klangbild der sämtlich in der Kopenhagener Garnisonskirche entstandenen Aufnahmen ist geprägt von einem schönen Raumklang, schwebend und stimmungsvoll, aber auch luzide und voller Präzision. Minimale Differenzen zwischen den verschiedenen Aufnahmesitzungen sind unproblematisch und fallen nicht ins Gewicht. Die Gestaltung der bei Cantaluope erschienenen Produktion ist fotografisch wunderbar; Informationen werden eher kursorisch und in Hilliers persönlicher Färbung geboten. Das Tracklisting ist irreführend: Ortiz‘ fünf Motetten bekommen auf dem Cover und im Booklet nur eine Nummer, werden aber tatsächlich einzeln gezählt.
Ein großartiges Porträt der Arbeit Paul Hilliers mit Ars Nova Copenhagen über ein Jahrzehnt hinweg. Das Programm mit etlichen Ersteinspielungen gewinnt Konturen, auch wenn es auf den ersten Blick erratisch wirken kann. Eine solche Platte nach persönlichen Bekanntschaften zusammenzustellen, kann als extravagant gelten, wirkt bei Hillier und seinem stupend weiten Horizont aber durchaus sympathisch.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |